a) Evolution des Bewusstseins nach Pierre Teilhard de Chardin
Das Geheimnis der Welt
liegt überall dort,
wo es gelingt,
das Universum transparent zu sehen.
Teilhard de Chardin
Der Jesuit Teilhard de Chardin (+1955) war
Paläontologe, Anthropologe und Philosoph und
neben seinen Forschungsreisen lehrte er am
Katholischen Institut in Paris. Sein Hauptwerk „Der
Mensch im Kosmos“ schrieb er als Sanitäter in den
Schützengräben des 1. Weltkriegs. In diesem Buch
unternimmt er die Synthese der naturwissen-
schaftlichen Evolutionstheorie (Darwins) und der
christlichen Heilsgeschichte. Die Schöpfung des
Kosmos ist vom Geist und vor allem von der
Liebe Gottes geprägt. Die wunderbar anziehenden
Kräften der Liebe sind es, diebereits in der
Urmaterie auf prävitale Weise genauso anziehend
auf alle Teile des Atoms wirken, wie bei einer
jungen Liebe eines Paares.
Aus einer „prävitalen“ Materie von Atomen und Molekülen entsteht in einem
Evolutionssprung der selbständige Organismus der Biosphäre, die Lebenssphäre der
Erde. Dadurch entstehen Pflanzen und Tiere als Voraussetzung für die Entwicklung
des denkenden Wesens Mensch. Dies wurde durch einen neuerlichen
Bewusstseins- und Evolutionssprung ermöglicht als die sogenannte Noosphäre1
entstand. Es ist die Bewusstseinssphäre, welche die Erde zunehmend wie ein
zweiter Gürtel umhüllt, als das Ich-Bewusstsein des Menschen und das Wissen
von seinem eigenen Sein aufleuchtete. Diese Sphäre wird vom Denken, Fühlen und
Tun des Menschen beeinflusst und ist vor allem für die Evolution der Erde prägend.
Evolution ist demnach eine Steigerung des Bewusstseins zu einer Ich-Werdung
des Menschen.
Nach Aussagen von Teilhard de Chardin besteht die Zukunft der Menschheit in
einer höheren Zentrierung der geistigen Substanz des Menschen auf einen Punkt
hin. Diesen Punkt nennt er Omega und dieser ist die Vollendung des menschlichen
Aufstiegs, der kosmische Brennpunkt, auf den hin alle geistigen Energien der
Menschheit zusammenströmen. Die Anziehungskraft, die diese zusammenstrebende
Bewegung bewirkt, ist die Liebe. Der Punkt Omega muss also diese
zusammenstrebende Bewegung auf sich zu in Gang bringen. Darum ist Omega
nicht nur ein künftiger Schnittpunkt, sondern muss zugleich schon jetzt vorhanden
sein.
Omega spielt als überpersönliches Ich in der Tiefe der denkenden Masse die Rolle
der vereinigenden Kraft. Wie das „Innen“ oder „Bewusstsein“ des kosmischen
Stoffes die Evolution vorantrieb, so zieht nun dieser Punkt Omega die
Bewusstseinsteile an sich. Omega ist also Entwicklungsachse und Endpunkt
zugleich. Die Noogenese2 steigt unumkehrbar bis zu ihm empor3. Teilhard de
Chardin sieht damit keinen Gegensatz von Wissenschaft und Religion, sondern sie
sind die zwei Seiten oder Phasen eines einzigen vollkommenen Erkenntnisaktes.
b) Entwicklung des Bewusstseins nach Jean Gebser
Natur hat weder Kern noch Schale,
alles ist sie in einem Male.
Johann Wolfgang von Goethe
Um die Menschen der Ur- und Frühgeschichte mit ihren Naturheiligtümern zu
verstehen, ist es hilfreich sich in sie hineinzudenken und –spüren und die
Entwicklung ihres Bewusstseins anzusehen. Der heutige Mensch durchläuft eine
ähnliche Evolutionsentwicklung, wie ursprünglich die gesamte Menschheit und wir
befinden uns an der derzeitigen Spitze dieser evolutiven Entwicklung, also im
Integralen Bewusstsein. Wenn es uns gelingt, uns in die Welt des Kindes
einzufühlen, so können wir die frühen Kulturen besser verstehen. Der Philosoph
und Psychologe Jean Gebser4 unterscheidet folgende Entwicklungsstufen der
Menschheit, die man auch bei der Entwicklung eines Menschen nachvollziehen
kann:
|
ARCHAISCH |
MAGISCH |
MYTHISCH |
MENTAL |
INTEGRAL |
Dimension |
0 |
1 |
2 |
3 |
4 |
Signatur |
keine |
Punkt |
Kreis |
Dreieck |
Kugel |
Akzentuierung, objektiv. |
Unbewusster Geist |
Natur |
Seele |
Raum-Welt |
Raumzeitfreie Welt |
Bewusstseinsgrad |
Tiefschlaf |
Schlaf |
Traum |
Wachheit |
Durchsichtigkeit |
Denkformen |
- - - |
Einfühlen und Einsfühlen |
Einbilden und Aussagen |
Vorstellen und
Nachdenken |
Wahren und
Durchsichtigkeit |
Grundhaltung und Energetikträger |
Ursprung:
Weisheit |
Vita:
Instinkt, Trieb, Gefühl |
Psychisch:
Imagination, Empfinden Gemüt |
Zerebral:
Abstraktion, Reflexion, Wollen |
Integral:
Konkretion,
Diaphanieren |
Realisationsformen |
Ahnen |
Erlebnis |
Erfahrung |
Vorstellung |
Wahrung |
Ausdrucksformen |
- - - |
Magie:
Götzen, Idol, Ritual |
Mythologem:
Götter, Symbol, Mysterien |
Philosophen:
Gott, Dogma, Zeremonie Methode |
Eteologem5:
Gottheit, Diaphanik |
Religion |
Totemismus |
Animatismus |
Animismus |
Eingottglaube |
Allg. Spiritualität |
Äußerungsform |
- - - |
Bitte (Gebet): Erhörung |
Wunsch:
Erfüllung |
Wille:
Erreichung |
Wahren:
Gegenwart |
Lokalisation der Seele |
(All) |
Same + Blut |
Zwerchfell + Herz |
Rückenmark + Gehirn |
Hirnrinde + Humorale |
Sozialbezüge |
- - - |
Stammeswelt Clan, Sippe, naturhaft |
Elternwelt (Ahnenkult) vorwiegend matriarchal |
Sohnes- bzw. Individualwelt vorwiegend patriarchal |
Menschheit weder matriarchal noch patriarchal, sondern integral |
Entwicklung des Menschen heute |
Embryo |
Kind bis
ca. 2 Jahre |
Kind ab ca. 3. Jahr |
Pubertät |
Reifer Mensch |
Die archaische Struktur führte durch den Verlust der Ganzheit zur Einheit der
magischen Struktur und war damit ein erstes dämmerhaft zunehmendes
Bewusstwerden des Menschen. So brachte die magische Struktur durch den sich
in ihr abspielenden Befreiungskampf gegen die Natur eine Herauslösung aus der
Natur und damit die Bewusstwerdung der Außenwelt. Die mythische Struktur
nun führt zu einer Bewusstwerdung der Seele, also der Innenwelt. Ihr Symbol ist
der Kreis, der stets auch Symbol der Seele war. Der eindimensionale Punkt der
magischen Struktur erweitert sich zum zweidimensionalen, die Fläche
einschließenden Ring. Er umfasst alles Polare und bindet es ausgleichend
ineinander, so wie im ewigen Kreislauf das Jahr über seine polaren
Erscheinungsformen von Sommer und Winter in sich zurückkehrt. Ebenso
umschließt der Lauf der Sonne über Mittag und Mitternacht, Licht und Dunkelheit
im Kreis.
In diesem naturhaften Zeitcharakter des Kreises begegnen wir der Verwandtschaft
der Zeit mit der Seele wieder. Und mehr noch: War das Resultat der magischen
Struktur die Bewusstwerdung der irdischen Natur (also vornehmlich der Erde) so
bringt die mythische den Gegenpol der Erde, nämlich die Sonne und den Himmel
zum Bewusstsein. Damit wird die im magischen Kampfe angeeignete Erde
gleichsam umfangen von den beiden polaren seelischen Wirklichkeiten, von dem
untererdhaften Hades und dem übererdhaften Olymp.
Verglichen mit der zeithaft-seelisch betonten mythischen Struktur, mutet der
Übergang in die mentale Struktur an, wie ein Fall aus der Zeit in den Raum. Aus
der Geborgenheit des zweidimensionalen Kreises und aus dessen Einschließung
tritt der Mensch hinaus in den dreidimensionalen Raum. Nur die Trinität hat
mentalen Charakter: In ihr vollzieht sich die Einigung der einst polaren Elemente
nicht mehr auf mythische Art, sondern sie muss sich zur Herstellung der Einigung
des „dritten“ Elementes bedienen.
Das Konkretisieren ist eine der Voraussetzungen der integralen Struktur.
Integrierung ist das Wiederherstellen des ursprünglichen Zustandes unter
bereicherndem Einbezug aller bisherigen Bewusstwerdungs-Leistungen. Dabei
stehen uns alle Dimensionen des Seins zur Verfügung, die Überbetonung der Ratio
wird dadurch egalisiert in einer neuen Qualitätsstruktur der Zeit.
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1) Nóos (griech.) hat viele Bedeutungen: Sinn, Verstand, Überlegung, Klugheit, Gemüt, Herz,
Gesinnung, Denkungsart, Ratschluss, Bedeutung usw. Es war fürdie antiken Griechen das
geistige Tun von Göttern und Menschen.
2) Die Noogenese ist die Entwicklung der Noosphäre
3) Josef V. Kopp: Entstehung und Zukunft des Menschen. Pierre Teilhard de Chardin und sein
Weltbild. Rex-Verlag, Luzern. 3. Aufl. 1962, S.55ff
4) nach Jean Gebser: Ursprung und Gegenwart
5) Wahrheit
Charakteristika des Bewußtseins>>>
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