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DIE STADTMITTE

 Die Ortsmitte war immer die mythologische Mitte der Welt. Um diese kreisen die Sternbilder. Hier war die Verbindung von Oberwelt, Welt und Unterwelt. Aus diesem Zentrum, aus diesem Omphalos (= Nabel) wächst alles Leben. Demzufolge ist das Zentrum der Ausgangspunkt aller Dinge, vor allem einer Stadt. In konzentrischen Kreisen baut sich ein hierarchisches System auf. Im inneren Kreis ist das Heiligtum zu finden mit seinen Priestern oder Priesterinnen. Im zweiten Ring finden wir die weltliche Herrschaft mit seinem König und den Führern. Im dritten Ring ist das Volk, die Bauern zu finden. Dieses Prinzip finden wir in der Bretagne um den größten Menhir der Welt oder in Irland um den Königssitz des irischen Hochkönigs von Tara.

 

Überall in der Alten Welt finden sich diese Einteilungen, deren es zwei Arten gibt. Die einen konzentrieren sich kreisförmig um das Zentrum und die anderen tun dies in quadratischer Form, nach den Himmelsrichtungen orientiert. Der ursprüngliche Grund dafür ist in der Kulturform der Nomaden und der sesshaften Völker zu finden. Die Nomadenvölker sahen ihr Ideal in dynamischen Form des Kreises, der ein Symbol des Kosmos darstellt, nach dem sie sich bei ihren Wanderungen orientierten. Deswegen sind ihre Heiligtümer immer kreisförmig, wie auch ihre Zelte, die ein Abbild des Heiligtums sind und den Kosmos widerspiegeln. Bei den sibirischen Nomaden wurde auf dem Zeltpfahl ein Bergkristall gelegt, als Symbol für den Polarstern.

 

Die sesshaften Völker dagegen sahen ihr Ideal im statischen Charakter und der Regelmäßigkeit des Quadrates. Daher ist ihr Heiligtum ebenso rechteckig oder quadratisch wie es ihre bebauten Felder waren. Der in der Mitte befindliche Pfahl hatte dabei die weitere Aufgabe der Sonnenmarkierung. Durch das Markieren der Extrempositionen des Sonnenlaufes entstehen zwei Halbkreise in Form eines Fisches. Zieht man dann eine Linie durch die Schnittpunkte, so erhält man die Nord-Süd-Richtung.

 

 

 Markierung des Zentrums

Wurde ein Ort vom Führer/Schamanen/Priester für die Sippe/Stamm als geeignet erspürt, so wurde ein Pfahl in die Erde gestoßen und das Zentrum des Siedlungsplatzes war markiert. Von hier stammt unser Wort MARKT. Durch diesen Akt wurde der Pfahl in den Kopf der sogenannten Erdschlange (franz.: wuivre, chin: Drachen) gerammt, um aus ihr Kraft und Energie zu erhalten. Damit wurden die Erdströme fixiert. Auf himmlischer Ebene stößt der Engelsfürst Michael seine Lanze in den Körper des Drachens und auf der Heiligenebene ist es St. Georg und auf der menschlichen vollzieht Siegfried diesen Akt. Wenn man den Körper des Drachens durchbohrt, wird die Kraft für den Menschen fruchtbar und dient zu seinem Schutz, wie bei Siegfried. In der Tat kann der, den die kosmische Allkraft durchströmt, nicht vernichtet werden.

 

Die fluktuierenden Erdkräfte werden durch den Omphalos an diesem Ort fixiert. Damit wirkt der Pfahl zugleich als Antenne und Sender. Er nimmt die Energien auf und gibt sie an seine Umgebung, dem Marktplatz ab. Die Größe dieses Pfahles, Omphalos’ oder dieser Säule ist ein Maß für jene Energie, die hier benötigt wird. Heute finden wir Marien- oder Dreifaltigkeitssäulen oder eine Prangersäule. Aufgrund des kosmischen Jahreszyklus ist dann einmal im Jahr diese Energie am stärksten. An diesem Tag ist dann meist ein Stadt- oder Dorffest. An dem Kreuzungspunkt einer römischen Stadt kreuzten sich die beiden Hauptstraßen des Cardo und des Decumanus. Manche Städte hatten in ihrem Mittelpunkt eine Quelle, die in einem Brunnen gefasst wurde.

 

Bei den meisten Dörfern stand der Maibaum in diesem Zentrum. Er stand meistens an einem Wasserader-Kreuzungspunkt. Damit erfüllte er die praktische Form des Blitzschutzes in einem Dorf, das er überragte. Zudem geschah hier die Heilige Hochzeit hieros gamos, der Verbindung des Himmelsgottes mit der Mutter Erde. Die Blitze waren das befruchtende Zeichen der Gottheiten. Der Maibaum symbolisiert den Phallus und die Kränze die befruchtete Vagina.

 

Bei den Römern wurde in der Mitte einer Stadt eine tiefe, brunnenähnliche Grube ausgehoben. Sie galt als Verbindung der Lebenden mit der Unterwelt (der Toten). Sie führte zu den Mächten der Tiefe, wie zu den Mächten des Himmels. Man deckte dieses Loch mit großen Steinplatten ab. Wie das Gewölbe des Himmels, wurde diese Höhle als ihr Symbol auf Erden und wurde dementsprechend mundus genannt. Um sie herum wurden in feierlicher Zeremonie in großem Kreis die Grenzen nach vorgeschriebenem Ritus festgelegt. „An einem durch günstige Vorzeichen bestimmten Tag“, beschreiben es die Berichte der Römer Cato und Varro, „spannt der in eine Toga gehüllte Stadtgründer rechts einen weißen Stier und links eine weiße Kuh vor einen Pflug“. Die Pflugschar musste aus reinem Kupfer sein. Dann zieht er, die Kuh an der Innenseite führend, eine Furche und hält die Pflugschar dabei schräg, sodaß die Schollen nach innen geworfen werden. Die auf diese Weise gehäufte Erde, bedeutet die zukünftige Stadtmauer, die Furche den Graben. An den für die Tore bestimmten Stellen wird der Pflug hochgehoben. Denn diese sind profan, während die Mauer heilig ist, gleichwohl, wie der ganze von der Furche umgrenzte Raum, das Stadttemplum. Von diesem Pflugritus wurde die etymologische Wurzel des lateinischen Wortes für Stadt urbs gebildet, das die gleiche Bedeutung, wie die Pflugschar hat. Wir kennen dieses Wort vom Papstsegen urbi et orbi, dem Segen für die Stadt und dem Erdkreis. Durch das Ziehen eines Kreises erhielt man den Schutz des „Magischen Kreises“. Dies tat man zur Beseitigung eingedrungenen Unsegens und zur Abwehr von außen andringenden Unheils, d.h., ein Abschließen eines Gebietes gegen alle Außenwelt. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, dass Der Tag der Stadtgründung an dem Tag war, wo die Energien für den genius loci am stärksten waren.

 

 

Einteilung der Stadt

Nach dem uralten Prinzip „wie oben so unten“ wurde der Kosmos einer Stadt nach dem Kosmos des Himmels gebaut. Das von den Sumerern überlieferte Weltbild war, dass an den vier Enden der Erde, wo die Sternbilder im Osten der Stier, im Süden der Löwe, im Westen der Skorpion und im Norden der Wassermann sind, die Säulen des Himmels standen. Diese Säulen trugen das Firmament, über das der Sonnengott mit seinen Rossen jeden Tag fuhr. Nach diesen vier Richtungen war der Himmel eingeteilt, so auch das Dorf, die Stadt. Jedes dieser Viertel hatte beispielsweise bei den Etruskern folgende Bedeutung:

Osten: Gute Vorbedeutung, denn hier wohnten die obersten Götter, die den Menschen günstig gesinnt waren.

 

Süden: Viel Glück, da hier die Gottheiten der Erde und der Natur herrschten.

 

Westen: Die furchtbarsten und gnadenlosesten Wesen der Unterwelt und des Schicksals wohnten in dieser trostlosen Region.

 

Nimes Stadtplan

 

Für die Etrusker und Römer galten Himmel und Erde ebenfalls als viergeteilt. Das unsichtbare Achsenkreuz war nach Nord-Süd und Ost-West ausgerichtet. Der Cardo wurde die von Norden nach Süden verlaufende Gerade (in lateinischen Übersetzungen) genannt und „Decumanus“ die durch Aufgang und Niedergang der Sonne bestimmten Querachse. Um den so geordneten himmlischen und irdischen Raum kreisten die wichtigen Kulthandlungen. Dieser ganzheitliche eingeteilte Raum ermöglichte erst den Priestern, die von den Überirdischen gegebenen Zeichen aufzuschlüsseln und verstehen zu können. Denn die Etrusker glaubten, dass ihr Schicksal - Glück und Unglück - bei den Gottheiten lagen, die in den vier kosmischen Regionen wohnten.

 

Ursprünglich bauten Etrusker und Römer den Cardo und den Decumanus entlang der genauen Himmelsrichtung und damit entsprechend dem Globalgitternetz. Später bauten die Römer ihre Hauptstraßen entlang der Zwischen- Himmelsrichtungen und damit auf das spirituellere Diagonal-Gitterstruktur.

 

 

Der LITUUS

Dieser Krummstab wurde über die Etrusker und Römer bis zu unseren heutigen Bischöfen tradiert. Wir wissen heute, dass dieser Krummstab als „Wünschelrute“ eingesetzt wurde. Die oft wunderbar geschmückte Spirale am oberen Ende des Lituus weist den etruskischen Priester als einen aus, der das Wissen vom kosmischen Himmelslauf der Sonne besitzt, ein Wissen vom Werden und Vergehen und vom richtigen Zeitpunkt. Das Gesicht gen Süden gewandt, sprach der Augur am Mittelpunkt der zu gründenden Stadt, bzw. Militärlager, nachdem er am Himmel Nord- Süd und Ost-West bestimmt hatte, die Worte: „Dies sei mein Vorn, dies sei mein Hinten, mein Links und mein Rechts." Dann zog er mit seinem Lituus, feierlich den Cardo und den Decumanus.